IMI-Standpunkt 2025/052
Kriegstüchtig: Der Kölner Kessel und die Berichterstattung
Die Zerschlagung der Demo und die Konstruktion vermeintlicher Ausschreitungen
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 2. September 2025
Camp, Aktionen und Positionen
Vom 26. bis 31. August fand im Kölner Grüngürtel das antimilitaristische Camp „Rheinmetall entwaffnen“ statt. Während auf dem Camp selbst politischer und kultureller Austausch und insbesondere die Vernetzung im Mittelpunkt standen, wurde es begleitet durch viele kleinere und größere Aktionen und Blockaden vor Bundeswehr-Einrichtungen und Rüstungsbetrieben, auch ein SPD-Büro wurde zwischenzeitlich besetzt. Auch dadurch, dass die Stadt Köln das Camp ursprünglich verbieten wollte, haben die Medien relativ prominent, wenn auch nicht besonders wohlwollend berichtet. Immerhin wurden dabei zunächst auch mehrfach die Positionen der Veranstalter*innen wiedergegeben. Zum Auftakt des Camps berichtete z.B. der WDR ausführlich. Dort wird auch ein Vertreter des Bündnisses zitiert, der „sowohl Russland als auch den Westen als Teil einer machtgetriebenen Weltordnung [sieht] und […] den Ukraine-Krieg einen ‚Konflikt zwischen Großmächten‘ nennt. Er lehnt Waffenlieferungen ab, weil sie aus seiner Sicht den Krieg verlängern und nicht der Bevölkerung helfen.“ Kontrastiert wird das mit den gängigen Einschätzungen, in diesem Fall von Stoltenberg, Carsten Breuer und Sönke Neitzel, zusammenfassend der Einschätzung des Bündnisses gegenübergestellt mit der Formulierung: „Sicherheitsexperten sagen das Gegenteil“. Auch nicht fehlen darf offenbar die Einordnung, das Protestbündnis gelte „bei mehreren Landes-Verfassungsdiensten als linksextremistisch beeinflusst“.
Am meisten öffentliche Resonanz erfuhr eine Blockade vor einem Karrierecenter der Bundeswehr. Auch hier wurde das Bündnis in verschiedenen Medien (hier wiederum der WDR) zitiert: „Sobald die Wehrpflicht wieder eingeführt ist, werden hier auch die Rekrutierungen organisiert. Deshalb sind wir heute schon hier, um klar zu sagen: Wir sind nicht kriegsbereit!“. Diese Blockade wurde von der Polizei aufgelöst. Als ich die Berichterstattung überflog, bevor ich zur abschließenden Parade des Camps anreiste, dachte ich mir: Gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Wehrpflicht: Bei beiden Themen haben die Aktivisti*nnen laut Umfragen eine Mehrheit oder eine sehr große Minderheit der Bevölkerung hinter sich. Um damit jedoch in die Leitmedien zu kommen, müssen sie offenbar Repression und Gewalt riskieren. Das zeigte sich mit besonderer Deutlichkeit bei der abschließenden Parade am Samstag, die von der Polizei mit massiver Gewalt zerschlagen und einseitig für beendet erklärt worden ist.
Ein historischer Moment…
Dabei hatte der Samstag Nachmittag großartig angefangen. Es war abgesprochen, dass die Parade im Anschluss an die traditionelle Kundgebung des Kölner Friedensforums startet und es war vielleicht ein historischer Moment, als die wenigen hundert, überwiegend älteren Teilnehmer*innen dieser Kundgebung zusahen, wie hunderte, überwiegend jüngere Menschen aus dem Camp, aus der näheren und ferneren Umgebung hinzuströmten. Von beiden Lautsprecherwagen wurde sich freundlich begrüßt, dann die Versammlungsleitung übergeben. Unübersehbar wuchs auch die Polizeipräsenz und nahm ein deutlich martialischeren Charakter an. Geplant war, dass die Kundgebung des Friedenforums und die Parade von Rheinmetall Entwaffnen zusammen gemeinsam etwa drei Kilometer zum Chlodwigsplatz ziehen und dort die Abschlusskundgebung des Friedensforums mit „Musik und Kultur für den Frieden“ stattfinden sollte. Anschließend sollte die Parade etwa weitere drei Kilometer zu jener Kaserne fortgesetzt werden, zu der auch das bereits zuvor blockierte „Karrierecenter“ gehört.
Doch bereits der Beginn der Parade wurde von der Polizei wegen vermeintlicher Verstöße gegen Demonstrationsauflagen über eine Stunde aufgehalten. Von Anfang an zeigte die Polizei ein äußerst provokatives Auftreten, ihre lautstarken, in einem patriarchalen Ton gehaltenen Ansagen erfolgten ziemlich offensichtlich nicht zufällig immer wieder zeitgleich mit Durchsagen vom Demo-Lauti, z.B. während die letzte Ansage der Polizei von dort für die internationalen Teilnehmende auf Englisch übersetzt wurden. Auch unterwegs wurde die Demo mehrfach und über längere Zeiträume von der Polizei aufgehalten. Viele äußerten bereits zu diesem Zeitpunkt, dass die Polizei systematisch versucht, die Demo in ihrer geplanten Form zu unterbinden – das war eigentlich offensichtlich.
… endet in Repression
Die massive, vermummte und behelmte Polizeipräsenz konterkarierte auch den ursprünglich geplanten Charakter als Parade und führte dazu, dass sie eher den Charakter einer kämpferischen Demonstration mit geschlossenen Blöcken annahm. Einige der teilnehmenden Spektren schienen das ohnehin so geplant zu haben. Nachdem aus einem dieser Blöcke sog. „Bengalos“ gezündet wurde, kündigte die Polizei bereits an, die Verantwortlichen zu identifizieren und aus der Demo zu entfernen. Nachdem die Demo so etwa drei Stunden für den ersten Kilometer gebraucht hatte, wurde sie in der Mechtildisstrasse, einer dicht bebauten Zufahrt zur Severinsbrücke, massiv von der Polizei angegriffen, in drei Teile gespalten. Zunächst schien es so, als seien zwei Drittel der Demo eingekesselt worden, letztlich waren es etwa sechshundert Menschen, die so über bis zu zehn Stunden festgesetzt wurden. Die Polizei erklärte die restliche Versammlung per Lautsprecher für beendet, die „ehemaligen Versammlungsteilnehmerinnen“ für „entfernungspflichtig“ und drohte ihnen „Maßnahmen zu ihrem Nachteil“ an. Sie war für den Versammlungsleiter und den Anwalt des Bündnisses daraufhin für Stunden nicht erreichbar und ansprechbar. Auch die Versuche der parlamentarischen Demobeobachterin, eine Kommunikation herzustellen, wurden mit Polizeigewalt beantwortet. Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen zunächst mit den gezündeten Rauchbomben, dann mit vermeintlichen Angriffen auf Polizeibeamt*innen, aber laut tagesschau.de auch damit, man habe verhindern wollen, „dass die Demonstranten am Rande der Kundgebung oder während des Demonstrationszuges erneut Gebäude oder Straßen blockieren“. Sowohl Verstöße Einzelner als auch unterstellte zukünftige Absichten sind ein versammlungsrechtlich heikler Grund, eine Demo mit gut 3.000 Menschen mit massiver Polizeigewalt anzugreifen, zu zerschlagen und für aufgelöst zu erklären. Letzteres funktionierte allerdings nicht. Der „Entfernungspflicht“ kam über Stunden kaum jemand nach, auch das Kölner Friedensforum harrte bis in die Nacht vor dem Kessel aus und verlegte Teile seiner geplanten Abschlusskundgebung auf den verbliebenen Lautsprecherwagen.
Desinformation, Diskurs und Gewalt
„Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht“ war eine der Parolen, die auf dem ersten Kilometer der Demo skandiert wurde. Eine andere war: „Die Reichen wollen Krieg, die Jugend eine Zukunft“. Die Demonstration mit gut 3.000 Menschen wurde massiv von der Polizei angegriffen, de facto zerschlagen. „Ausschreitungen bei Anti-Kriegs-Demo in Köln“ titelte z.B. tagesschau.de1, andere Leitmedien berichteten gar von „Krawallen“. Das ist Desinformation! Das waren keine Ausschreitungen, das war einfach nur Polizeigewalt.2 Das war eine Demonstration mit unliebsamen Inhalten, die einfach unter massiver Polizeigewalt zerschlagen wurde. Leider überrascht das kaum noch, auch das gehört zur „Kriegstüchtigkeit“: Opposition verunglimpfen, marginalisieren und mundtot zu machen – oder das zumindest zu versuchen. Denn bei der Kriegstüchtigkeit handelt es sich um ein Programm der Regierung gemeinsam mit anderen Eliten, das den Interessen fast der ganzen Bevölkerung zuwiderläuft: Den Arbeiterinnen und Arbeitern, den Alten, Kranken und Obdachlosen, den Wehrpflichtigen, ihren Eltern und Großeltern. Es ist ein Programm, das natürlich Widerstände hervorruft und das mit Propaganda und gegebenenfalls auch Gewalt durchgesetzt werden muss. Das ist ganz offensichtlich. Deshalb ist es wichtig, hier Propaganda auch als das zu benennen, was sie ist. Auffällig ist im übrigen, dass die meisten Videos, die seither über die „gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten“ kursieren, von der Polizei oder Anwohnenden stammen (auch auf ihnen ist Gewalt nur von einer Seite erkennbar), ich persönlich habe z.B. im ganzen Verlauf der zuvor viel diskutierten Demonstration in der Medienstadt Köln keine einzige Kamera des WDR (oder anderer öffentlich-rechtlichen Sender) entdecken können. Sie waren nach Angaben des Presseteams von Rheinmetall Entwaffnen auch nicht mehr erreichbar.
Übrigens: Man muss nicht unbedingt dabei gewesen sein, um die Propaganda zu erkennen, das steht im Grunde in der Propaganda selbst, soweit sie die Bilanz der Polizei zitiert: Nachdem etwa sechshundert Menschen acht Stunden gekesselt und einzeln die Personalien festgestellt wurden, erfolgte eine einzige Festnahme unter dem Vorwurf des „Widerstandes“. Eine ganz offensichtlich magere Bilanz dafür, eine Demo mit 3.000 Menschen zu zerschlagen. Die andere: Angeblich wurden 147 verletzte Demonstrant*innen und 13 verletzte Beamt*innen festgestellt.
Anmerkungen
1 Der Artikel bei tagesschau.de wurde mittlerweile (vermutlich mehrfach) ergänzt und überarbeitet, die Version vom 31.8.2025, Stand 19:04 ist hier per Screenshot dokumentiert.
2 Die Demosanitäter*innen, die den Protest betreuten, berichteten außerdem in einer Instagram-Story in der Nacht vom 31. August um 3.30 Uhr: „Wir erleben grade einen der heftigsten Einsätze in unserer Gruppengeschichte mit unzähligen Verletzten. Die Polizei stoppte die Rheinmetall Entwaffnen Demonstration in Köln, kesselte einen größeren Block weitgehend ein und zieht auch noch zur Stunde mit Gewalt nach [a]uch einzelne Demonstrant*innen aus dem eingekesselten Demonstrationsblock. Dabei kommt es immer wieder zu Verletzten, die teilweise auch einem Krankenhaus zugeführt werden mussten. Wir gehen von einer hohen zweistelligen bis niedrig dreistelligen Patient*innenzahl aus. […]“